Entwicklungslinien (Developmental Lines)

Facetten einer Persönlichkeit

»Der Mensch ist nichts Festes, Gewordenes und Fertiges, nichts Einmaliges und Eindeutiges, sondern etwas Werdendes, ein Versuch, eine Ahnung und Zukunft, Wurf und Sehnsucht der Natur nach neuen Formen und Möglichkeiten.«

– Hermann Hesse

Facetten deiner Persönlichkeit …

Unsere Entwicklung verläuft nicht homogen. In manchen Bereichen unseres Seins sind wir sehr weit entwickelt, in vielen Bereichen ist unser Potenzial vielleicht eher durchschnittlich ausgeprägt und in wiederum anderen Bereichen haben wir unser Potenzial bislang nicht entfaltet – oder wissen nicht einmal davon.

Dies ist nicht weiter schlimm – nicht jeder Mensch muss und wird in allen Disziplinen des Lebens als Top-Athletin herausragen. Und ein solcher Anspruch würde uns auch hoffnungslos überfordern.

Nach unserem Verständnis geht es in der Entwicklung von Menschen vielmehr darum, die Facetten der Persönlichkeit in ihrer gesamten Pracht zu erfassen. Und diese so zu kultivieren, dass dem Betreffenden künftig mehr Wahlmöglichkeiten im eigenen Denken, Handeln und (Mit-)Fühlen zur Verfügung stehen und sich der Horizont des eigenen Bewusstseins ausweitet auf Bereiche, die ihr oder ihm bislang verschlossen und daher unbekannt waren.

Entwicklungslinien (Developmental Lines)​

Entwicklungslinien berücksichtigen den Umstand, dass wir diese verschiedenen Aspekte unserer Persönlichkeit zeigen, die jeweils unterschiedlich weit entwickelt sein können und unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen beeinflussen oder beherrschen.

Im AQAL-Modell beschreiben Entwicklungslinien die Tatsache, dass Menschen und andere Lebewesen zahlreiche unterschiedliche Intelligenzen besitzen, die sich auch ganz unterschiedlich weit entwickelt haben können.

Bei einigen Menschen kann z.B. das logische Denken hoch entwickelt, jedoch die moralische Entwicklung eher dürftig ausgeprägt sein. Andere Menschen haben eine außerordentlich hohe emotionale Intelligenz, können jedoch nur mäßig logische Aufgabenstellungen bewältigen.

Die meisten Menschen sind in zwei oder drei Bereichen sehr gut entwickelt, während sie in anderen Bereichen eher durchschnittlich entwickelt sind.

Es gibt zahlreiche Entwicklungslinien. Einige wichtige Entwicklungslinien sind unter anderen:

  • Kognition: Entwicklungslinie der Wahrnehmungsfähigkeit eines Menschen, die die Grundlage für die Entwicklung vieler anderer Intelligenzen stellt (Piaget, Aurobindo).
  • Ich-Entwicklung: Entwicklungslinie des Selbst als Entwicklung der Perspektiven (Cook-Greuter).
  • Werte: Entwicklungslinie des eigenen Wertesystems (Graves, Beck / Cowan)
  • Körper: Entwicklungslinie der Disposition und Fitness des Körpers.
  • Fähigkeiten: Entwicklungslinie der persönlichen Fähigkeiten auf Basis von Spiral Dynamics, d.h. rot, blau, orange, grün etc. ausgeprägte Fähigkeiten.

… nun auch wissenschaftlich (an-)erkannt

Lange Zeit wurde der Diskurs der Entwicklungsforscher von der Überzeugung beherrscht, es gebe nur eine Form der Entwicklung, nämlich die kognitive Intelligenz. Ihr Maß ist der von vielen Menschen als überaus wichtig erachtete Intelligenzquotient oder IQ.

Auf der Grundlage der Arbeiten von James Mark Baldwin wurde diese kognitive Linie insbesondere durch Jean Piaget erforscht. Er zeigte, dass jede Stufe der kognitiven Entwicklung eine andere Weltsicht hat und mit anderen Wahrnehmungen, Motivationen, moralischen Überzeugungen und einem veränderten Erleben von Zeit und Raum einhergeht. Seine Arbeit ist grundlegend für die Entwicklungsforschung und hat u.a. die Arbeiten von Abraham Maslow zur Bedürfnis-Entwicklung, von Lawrence Kohlberg zur Moral-Entwicklung, von Jane Loevinger zur Ich-Entwicklung und von Carol Gilligan zur weiblichen Moral-Entwicklung beeinflusst.

Seit einigen Jahrzehnten setzt sich jedoch zunehmend die Erkenntnis durch, dass es ganz verschiedene Formen der Intelligenz gibt4. So beschreibt Howard Gardner in seiner „Theorie der multiplen Intelligenzen“ insgesamt acht voneinander differenzierte Entwicklungslinien.

Zahlreiche andere Entwicklungspioniere untersuchten die Entwicklung von Weltsichten, Wertvorstellungen, Geschlechtern und Ästhetik und diversen anderen Feldern menschlichen Potenzials. Ken Wilber fasste die Essenz aus insgesamt mehr als 100 verschiedenen Systemen zur Beschreibung solcher Entwicklungslinien zusammen.

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